10 Jahre Partitura Verlag
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von Stephanie Gurtner
Die Frage begleitet mich schon mein ganzes Musikerinnenleben lang: Warum haben Pianisten und Sängerinnen die ganze Partitur vor sich, während ich mich mit meiner Bratsche mit einer Einzelstimme begnügen muss? Sind jene, die ein Melodieinstrument spielen, vielleicht überfordert? Lässt die Beherrschung des eigenen Instrumentes keinen weiteren Raum für den umfassenden Überblick während des Probens? Das kann es doch nicht sein. Oder hat man mit einem Melodieinstrument automatisch ein so gutes Notengedächtnis, dass man die ganze Partitur auch ohne Noten vor sich sieht? So glücklich sind wohl auch die wenigsten. Oder interessiert es die Musiker schlicht zu wenig, was ihre PartnerInnen spielen? Das mag zwar gelegentlich vorkommen, kann aber auch nicht der Grund sein.
Nein: In mühsamer Bastelarbeit werden sehr wohl Taschenpartituren zusammengeklebt und auf übergrosse Kartons aufgezogen. Mithilfe von Stützen am Notenpult spielen viele aus solchen präparierten Partituren. Neben Instrument und Notenpult muss nun noch eine grosse Zeichnungsmappe für die geklebten Kartons mitgeschleppt werden, oder ein Bügeleisen, um die gefalteten Kartons zu bügeln. Berühmte Streichquartette spielen aus gebastelten Partituren. Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen zeigen mir, dass sich viele von ihnen Notenausgaben in Spielpartiturform wünschen. Warum nur scheuen sich die Verlage davor, solche Ausgaben zu machen?
Vor zehn Jahren stehe ich vor einem Wendepunkt im Leben, eine Erkrankung meines Innenohres zwingt mich, das aktive Musizieren stark einzuschränken. Und so kommt mein Entschluss fast automatisch: Jetzt probiere ich die Herausgabe von Spielpartituren ganz einfach aus! Unser Dreierteam besteht von Anfang an aus unserem versierten Notensetzer Johannes Schlesinger, dem erfahrenen Verlagsfachmann Markus Neuenschwander und mir, Bratschistin, langjährige Orchester- und Kammermusikerin.
Zu Beginn tüfteln wir: wie klein darf die Klavierstimme sein, damit sie noch gut erkennbar ist? Wie funktioniert das Seitenwenden? Schnell sehen wir: hat eine Melodiestimme zuwenig Pausen, lässt sich nichts machen – die Wendestellen müssen klappen. Unser Prototyp, die Sonate f-Moll op. 120,1 für Viola und Klavier von J. Brahms gelingt. So gründen wir den Partitura Verlag und stellen im März 2007 am kleinsten Stand der Frankfurter Musikmesse unseren Anfangskatalog aus: acht Sonaten mit Klavier, drei Trios und ein Streichquartett.
Wir stossen rasch auf reges Interesse, vor allem bei ausübenden Musikern und Musikerinnen: "Genial, könnt ihr nicht alle Beethoven Violinsonaten herausgeben?" – "Wann kommen die Bartok Quartette heraus?" – "Oh, hätte es das früher gegeben, wäre mein Leben anders verlaufen!" Es sind vor allem namhafte Viola-Pädagogen und Viola-Solistinnen, welche bald an den Partitura Verlag mit Wünschen herantreten, etwa Thomas Riebl, Kim Kashkashian oder Roger Benedict. Und so entwickelt sich der Verlag rasch zu einem spezialisierten Bratscheverlag. Ich meine, das ist auch kein Zufall: Bratschisten reagieren wohl besonders affin auf das neue Angebot, weil ihre Position in der Mitte eines Orchesters oder eines Quartettes ein besonderes Verständnis für die Gesamtpartitur erfordert.
Trotzdem behalten die skeptischen Stimmen – vor allem aus Händlerkreisen – recht. Sie fragen: Ist das wirklich nötig? Und meinen: zuviel Aufwand, zu kleine Kundschaft für ein solches Nischenprodukt, zu aufwändig gedruckte Noten in Zeiten der Digitalisierung. Für meinen Lebensunterhalt reicht die Nachfrage nicht aus. Nach wenigen Jahren stehe ich vor der Wahl: Dem Markt gehorchen und aufgeben oder den Liebhaberverlag auf professionellem Niveau in Freizeit weiterführen. Ich entscheide mich für letzteres und es macht mir Freude, meine kleine Fangemeinde weiter zu bedienen, mich an internationalen Viola-Tagungen und –wettbewerben von Künstlern und Künstlerinnen neu inspirieren zu lassen und zu erleben, wie sehr die Partitura-Ausgaben von meiner Kundschaft geschätzt werden.
Neben Originalliteratur enthält unser Katalog Bearbeitungen für Viola und Klavier von Violinwerken und Transkriptionen von Werken für Gesang und Klavier. Neu haben wir auch Solo-Stücke für Viola dabei, virtuose Transkriptionen spanischer Gitarrenmusik für Solo Viola. Zudem bereichern Tangos aus Argentinien und – ein ganz persönliches Steckenpferd von mir – aus Finnland unser Programm. Die nächste geplante Ausgabe enthält beides: argentinische und finnische Tangos; freuen Sie sich auf die Duos für zwei Violen!
Partitura Verlag Webseite: www.partitura-verlag.com
Rezension Brahms in «Das Orchester»: www.dasorchester.de
Partitura auf Facebook: www.facebook.com/Partitura-Verlag
Noten von Partitura in unserm Onlineshop
» Finn Tango I
» Finn Tango II
» Johannes Brahms - Sonate f-moll, op. 120, Nr. 1
» Johannes Brahms - Sonate Es-dur op. 120, Nr. 2
Jetzt komme ich von Partitur oder Klavierauszug zur Einzelstimme und kann das Orientierungsproblem aus ureigenster Anschauung gut nachvollziehen.
Vielleicht geht aber auch eine elektronische Version auf Tablet, da ist das Umblättern ja nicht mehr so problematisch.