Natalia Wächter im Interview |
Über ihre musikalische Entwicklung in Moskau und ihr Studium der Viola bei Yuri Bashmet
Natalia Wächter wurde 1964 in Moskau geboren. Sie wuchs in einer musikalischen Familie auf und begann im Alter von 6 Jahren mit dem Geigenunterricht. Mit 12 Jahren wechselte sie zur Bratsche. Sie studierte von 1982 bis 1987 am Moskauer Tschaikowsky Konservatorium Viola bei dem berühmten Professor Yuri Bashmet. Nach demStudium spielte sie, bis zu ihrer Ausreise nach Deutschland im Jahr 1989, unter der Leitung des damaligen Chefdirigenten Alexander Lazarev am Bolshoi Theater Moskau. Von 1990 bis 1991 war sie Solo-Bratschistin beim Philharmonischen Orchester der Stadt Heidelberg. Seit 1991 ist sie Vorspielerin bei den Stuttgarter Philharmonikern.
Wir freuen uns Frau Wächter heute als Interviewpartnerin für die Blog-Reihe «Geschichten rund um die Viola» zu begrüßen und unseren Lesern ein paar Einblicke in das facettenreiche Leben dieser Musikerin zu ermöglichen. Das Interview führt Mascha Seitz, freie Texterin und Gestalterin für Music4Viola.
Music4Viola: Frau Wächter, schön dass Sie die Zeit gefunden haben uns einige Fragen zu beantworten. Ihre Studienzeit liegt nun über 30 Jahre zurück. Wie lebendig sind Ihre Erinnerungen noch an diese Zeit?
Natalia Wächter: Die Erinnerungen sind nicht nur an die Studienzeit noch sehr lebendig, sondern besonders auch an meine Schulzeit. Ich kam auf die Gnessin-Schule in Moskau, eine Spezial-Musikschule. Dort gab es eine Aufnahmeprüfung für 6-Jährige. Man musste ein Lied vorsingen, mehrere Rhythmen nachklatschen und, ohne auf die Klaviatur zu sehen, die Anzahl der gespielten Töne nach Gehör bestimmen. Ich wurde aufgenommen und begann dort mit dem Geigenunterricht. Das war eine sehr intensive musikalische Früherziehung.
Zwei Mal in der Woche hatten wir Instrumentalunterricht, in meinem Fall die Geige. Mit sieben Jahren kam zusätzlich Klavierunterricht dazu und später noch Kammermusik. Vormittags fand immer der allgemeinbildende Unterricht statt, nachmittags dann die musikalischen Fächer wie Solfeggio, Musiktheorie, Musikgeschichte und Harmonielehre.
Das Faszinierende an dieser Schule waren die Lehrer. Es gibt dafür ein schönes Wort: Enthusiast. Sie waren mit Leib und Seele dabei, haben nie auf die Uhr geschaut. Wenn es notwendig war, investierten sie weitere Stunden um sich noch intensiver um die Schüler zu kümmern. Sie waren wie ihre eigenen Kinder, das war sehr motivierend und ich habe das sehr geschätzt.
Music4Viola: Wie kam es dazu, dass Sie zur Bratsche wechselten?
Natalia Wächter: Ich habe bis zur vierten Klasse Geige gespielt. Das lief eigentlich ganz gut, bis ich mir mit 12 Jahren zwei Mal hintereinander die Finger gebrochen habe. Zuerst auf der rechten Hand den kleinen Finger, und zwei Wochen nachdem der Gips abgenommen war, den Ringfinger der linken Hand. Das war ein ziemlich schlimmer Bruch, da die Knochen sich verschoben haben. Der Finger ist falsch zusammen gewachsen und krumm geblieben. Auf der Geige wurde es dann sehr schwierig mit der Geläufigkeit. Das war für mich das Ende des Geigenspiels. Ich wollte aber auf jeden Fall in der Schule bleiben. Wir haben uns dann alle den Kopf zerbrochen, welches Instrument ich spielen sollte. Mein Traum war die Harfe, aber zum Glück hat meine Mutter gesagt: «Nein die ist zu schwer zu schleppen.» (lacht) Schließlich wurde das Urteil gefällt, welches zunächst wie ein Donnerschlag über mich herein brach: Die Bratsche. Mir blieb quasi nichts anderes übrig.
Die Abstände der Töne sind bei der Bratsche größer und somit war mein gebrochener Finger nicht mehr so störend im Weg. Damals war die geläufige Ansicht, dass diejenigen, die nicht so gut Geige spielen, Bratschisten geworden sind. Dieses Vorurteil stimmte vielleicht insofern, da die Literatur für Bratsche eben nicht ganz so virtuos ist wie für die Geige.
Für mich war das ein Schock und ich wollte dieses Instrument nicht spielen. Doch als ich dann die erste Bratsche bekam und einige Male auf ihr spielte, war es, als hätten wir uns gefunden. Meine Bratschenlehrerin hat mich unglaublich motiviert und mir den Freiraum gelassen, mich zu entwickeln. Im Grunde wurde dann alles besser, es war wie ein Wunder. Meine Entwicklung ging sehr schnell voran. In meinem ersten Konzert auf der Bratsche habe ich die
Sonate von Telemann in a-Moll gespielt. Ich fing auch bald an Kammermusik zu spielen. Mit 15 Jahren gewann ich den ersten Preis als Mitglied eines Klavier-Quintetts beim internationalen Wettbewerb Concertino-Praha in der damaligen Tschecheslowakei, das war ein tolles Erlebnis.
Music4Viola: Nun zu ihrer Studienzeit. Wie haben Sie Yuri Bashmet als Mensch und als Lehrer erlebt? Was hat er Ihnen auf musikalischer und auf menschlicher Ebene vermittelt?
Natalia Wächter: In der Schule habe ich mich immer, ich würde nicht sagen als Star, aber als eine sehr gute Braschistin gesehen. Ich dachte wirklich, ich spiele gut und sauber. Als ich zu Yuri Bashmet in die erste Stunde kam, habe ich gezittert wie Espenlaub, ich war sehr aufgeregt. Mein Spiel hat ihm sehr gut gefallen. Dann aber hat er angefangen mit mir zu arbeiten und mir auf eine sanfte und subtile Weise zu verstehen gegeben, dass ich nicht ganz sauber spielte. Das hat mich damals sehr getroffen weil ich immer dachte, mit Intonation keine Probleme zu haben.
Das Schlüsselerlebnis für mein zukünftiges Bratschenspiel war seine Erklärung zur fokussierten Intonation. Wirhaben das mit nur einem gespielten Ton geübt. Als ich endlich diesen Ton mit jener fokussierten Intonation traf, klang das Instrument gleich viel lauter und intensiver. Man trifft quasi alle Obertöne, die es in einem Ton gibt und der Klang verstärkt sich um ein Vielfaches. Als ich dann tatsächlich verinnerlicht habe was er meinte, konnte ich zwei Monate lang nicht spielen. Dieses Schlüsselerlebnis hat mich verstehen lassen, dass man ohne diese Art von Intonation keine Musik machen kann.
Ein weiterer wichtiger Punkt, den ich von Bashmet mit auf den Weg bekommen habe, war seine Klanggestaltung. Bei der Bratsche ist es sehr wichtig in die Tiefe zu gehen um den wirklich typischen Klang zu erzeugen. Das Instrument klingt, so sage ich gerne, saftig und satt wie ein schöner Mezzosopran. Deswegen habe ich mich gleich verbunden gefühlt mit diesem runden, weichen und vollmundigen Ton, den ich von Bashmet erlernte.
Noch etwas ganz Besonderes: Im Unterricht hat Yuri Bashmet seinen Studenten gelehrt, die Musik in Bildern zusehen. Das erste Stück, das ich mit ihm gespielt habe, ist ein schönes Beispiel. Prelude aus der Cello Suite in G-Dur von Johann Sebastian Bach. Ich fing an zu spielen und es klang bei mir wie eine Etüde. Bashmet sagte: «Ja, das ist schön, aber was stellst du dir bei dieser Musik vor?» Und hatte dann eine Idee: «Stell dir vor, es ist Weinachten. Eine Tanne steht im Zimmer. Langsam beginnst du den Baum zu schmücken. Hier kommt eine Fee hin, dort ein funkelnder Stern und dann kommen die Lichter nach und nach und es werden immer mehr davon. Am Ende hast du nicht nur den wunderschönen fertigen Baum, sondern auch die Stimmung und die Atmosphäre.» Das war für mich ebenfalls ein bedeutendes Schlüsselerlebnis und gehört zu den Dingen, die ich von ihm fürs Leben gelernt habe. Für mich war und ist er der beste Bratschist. Ich habe ihn sehr bewundert und verehre ihn bis heute.
Music4Viola: Welche Stücke spielen Sie am liebsten und welche würden Sie lieber aus den Notenbüchern verbannen?
Natalia Wächter: Was ich unglaublich schade finde ist, dass so ein genialer Komponist wie Wolfgang Amadeus Mozart kein Konzert für Bratsche geschrieben hat. Aber es gibt von ihm diese wunderschöne
Concertante in Es-Dur für Bratsche und Geige. Das ist eines meiner Lieblingsstücke und ich hatte auch schon das Glück, mit menem Mann Matthias Wächter, Konzertmeister der Stuttgarter Philharmoniker, dieses Stück aufzuführen.
Es gibt auch eine sehr schöne Aufnahme mit Yuri Bashmet und Vladimir Spiwakov.
Was ich auch immer sehr gerne gespielt habe, ist das
Konzertstück für Bratsche und Klavier von George Enescu, ein rumänischer Komponist, der in Frankreich gelebt hat. Und gerade bei diesem Stück kann man alle Facetten des Instruments demonstriren. Es ist sehr schön zu spielen.
Natürlich DAS
Konzert für Bratsche ist das von Béla Bartók. Es ist ein symphonisches und technisch sehr anspruchsvolles, virtuoses Stück. Das Orchester spielt nicht nur eine begleitende Rolle, sondern auch eine mitgestaltende. Dieses Konzert sollte jeder Bratschist gespielt haben.
Was ich gerne einmal einstudieren würde, ist das
Konzert für Bratsche von Alfred Schnittke. Dieses Konzert hat er Yuri Bashmet gewidmet. Es ist ein sehr packendes und ebenfalls sehr anspruchsvolles Stück. Ich habe noch bei Bashmet studiert als er sich mit Schnittke getroffen hat um das Stück mit ihm zu besprechen. Bashmet erzählte viel darüber und war sehr begeistert.
Was ich überhaupt nicht mag, ist das
Konzert in D-Dur von Karl Stamitz. Jeder Bratscher kennt es, weil es immer bei Orchesterprobespielen verlangt wird. Das ist einfach nicht meine Musik.
Ein Werk mit einer ganz zentralen Bedeutung für mich, ist die
Viola Sonate Opus 147 Von Dimitri Schostakowitsch. Es ist sein letztes vollständig komponiertes Werk. Es ist Fjodor Druzhinin gewidmet, bei dem Yuri Bashmet studiert hat. Zu dieser Zeit ahnte wohl Schostakowitsch schon das Ende seines Lebens nahen. Es ist sozusagen sein persönliches Requiem, in dem er sich mit Leben und Tod auf seine ganzeigene Weise auseinander setzte. Alles was es an Charakteristika in der Musik gibt, ist in dieser Sonate zu finden: Trauer, Lebensfreude, Sarkasmus, Ironie und Liebe. Aus diesem Grund bin ich als Bratschistin sehr stolz und glücklich, dass Schostakowitsch so ein bedeutendes Werk für «mein» Instrument geschrieben hat.
Music4Viola: Was können Sie einem Bratsche-Studenten oder angehenden Bratschespieler abschließend mit auf den Weg geben?
Natalia Wächter: In meinen Augen ist es das Wichtigste, diesen besonderen Bratschenklang zu finden. Für mich ist es ein Klang, der richtig in die Tiefe geht. Wir haben das Privileg, dass die Bratsche in den oberen Tönen sehr nach Geige klingen kann, aber wenn es tiefer geht, dann ist der Klang wirklich einmalig. Es ist dann tatsächlich ein Instrument zwischen Geige und Cello. Das wünsche ich mir manchmal bei den Orchesterprobespielen wenn ich jungen Leuten zuhöre, der strahlende Klang oben, wie bei der Geige und dieser tiefe sonore, saftige Klang unten. Dann hat man die Seele des Instrumentes gefunden.
Und natürlich ist es auch noch wichtig in Konzerte zu gehen. Leider sehe ich nicht so viele Studenten in den Konzertsälen. Es gibt dort so viel zu lernen von anderen Musikern. Das sollte man sich in seiner Studienzeit nicht entgehen lassen.
Music4Viola: Frau Wächter, vielen Dank für dieses Interview!